Die Tragödie des Tschadsees

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Der Tschadsee, fotografiert von der ISS. Foto: NASA auf flickr.com (Creative Commons)

Die taz am Wochendende (21./22.5.2016) brachte einen langen und gut recherchierten Artikel über den Tschadsee und den (angenommenen) Zusammenhang zwischen der ökologischen Katastrophe, der der Tschadsee anheimgefallen ist, und den Aktivitäten der Dschihadisten von Boko Haram in der Region.

Der Tschadsee leidet seit Jahrzehnten unter einer ökologische Katastrophe. Noch in den 1960er Jahren war das Gewässer der sechstgrößte See der Erde, inzwischen ist seine Fläche wegen falscher Nutzung und dem Klimawandel von 25.000 auf gut 1.300 Quadratkilometer geschrumpft. Aber gekippt ist nicht nur das ökologische Gleichgewicht der Region. Zehntausende Menschen dürften ihre Arbeit verloren haben, da sie ohne Wasser heute weder als Fischer noch als Landwirte arbeiten können. Gesicherte Daten findet man allerdings kaum.

Auch über den Zusammenhang zwischen dem Niedergang der Region und der Stärke der Terrormiliz Boko Haram „gibt es keine wissenschaftlichen Studien“, bedauert Mariam Traore Chazanoel von der zwischenstaatlichen „International Organization for Migration“ (IOM). „Aber es gibt viele einzelne Berichte“: Die Region verliere Menschen und staatliche Strukturen. Und überall ist Boko Haram präsent, im vergangenen Jahr Platz eins auf dem Weltweiten Terrorismus Index (GTI). Auch wenn Nigerias Präsident Muhammadu Buhari betont, die Gruppe kontrolliere heute keine einzige Großgemeinde mehr, gilt diese Rückzugsregion der Islamisten als extrem unsicher. Im Februar erst starben mindestens 60 Menschen bei einem Anschlag in Dikwa (…)

Das klingt plausibel – aber das heißt noch lange nicht, dass die Verbindung auch wirklich klar zu ziehen ist. Zum einen ist nämlich die These von Klimakriegen in der Öffentlichkeit und in den Medien stark verbreitet – aber in der Fachwelt heftig debattiert. 

In Deutschland hat vor allem Harald Welzer, der ein schlauer Mann und überzeugender Reder, aber auch ein sehr lesbarer Autor ist, mit seinem Buch „Klimakriege“ die These populär gemacht. Harald Welzer ist einer der wenigen zeitgenössischen public intellectuals in diesem Land, aber sein essayistisches Buch beruht nicht im eigentlichen Sinne auf eigener Forschung zum Komplex Klimawandel und Konflikte – es geht ihm um ein ganz anderes Argument, nämlich die Frage, wofür Menschen bereit sind zu töten.

Insbesondere in der quantitativ orientierten Friedens- und Konfliktforschung im englischsprachigen Raum ist die Frage umstritten, ob die Datenlage es zulässt, von Klimaextremen als Ursache von Konflikten, gemeint sind meist Bürgerkriege, zu sprechen. Relevant ist die Frage nach den negativen gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels in jedem Fall – denn selbst wenn es gelingt, die globale Erwärmung aufzuhalten, zunächst wird der Klimawandel an Intensität weiter zunehmen.

Zurück zum Tschadsee. Dieser ist zweifelsohne von beiden Phänomenen betroffen – von einer ökologischen Katastrophe und der terroristischen Gewalt von Boko Harum. Aber nicht notwendigerweise gibt es eine starke Verbindung zwischen beiden. Selbst wenn es anderswo Klimakonflikte gibt, muss dieses keiner sein: der dazugehörige Fehlschluss heißt Cum hoc ergo propter hoc („mit diesem, folglich deswegen„). Weil zwei Phänomene zusammen auftauchen, ist das eine nicht zwangsläufig die Folge des anderen; Korrelation ist nicht gleich Kausation.

Der Artikel legt offen, dass es keine klare Datenlage gibt. Es ist auch nicht so einfach, Dschihadisten nach ihrer Herkunft und ihren Motiven zu befragen. Wären die jungen Männer wirklich glückliche Kleinbauern oder Fischer geworden, wenn der See nicht schrumpfen würde? Genau hier, in der mangelnden Datenbasis, liegen Zweifel begründet: Ist der anhaltende Erfolg von Boko Haram in der Region vielleicht weniger eine Ursache des Klimawandels als von Unterentwicklung und Staatszerfall? Tschad ist eines der ärmsten Länder der Welt, auf der Skala fragiler Staaten auf Platz 6. Nigerias Norden ist seit Jahrzehnten unterentwickelt und von Saheldürren betroffen, wie Michael J. Watts in seinem Klassiker der politischen Ökologie,  „Silent Violence“, eindrücklich beschreibt. Nigerias Gesellschaft ist von extremer Ungleichheit geprägt, die Mehrheit der Bevölkerung profitiert nicht von den Öleinnahmen. Perspektivlosigkeit mag also eine Triebkraft für Terrorismus sein – aber die sozio-ökonomischen Probleme dieser Grenzregion nicht alleine eine Folge des Klimawandels. Es gilt, Fälle von Umweltkonflikten genau zu beschreiben und die Datenlage zu prüfen, bevor Aussagen getroffen werden – auch wenn das vielleicht nicht so gute Schlagzeilen ergibt.

 

 

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