Indiens Wasserkrise schafft Konflikte

Wasser wird in weiten Teilen Indiens immer knapper. In den Jahren 2014-16 erlebte das Land eine extreme Dürre, vielleicht die schlimmste seit der Unabhängigkeit. Die Wasserknappheit führt lokal immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen um die Nutzung von Wasser. Ursache der Wasserkrise ist weniger der Klimawandel als fehlgeleitete wirtschaftliche Entwicklung.

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Wasserverkäufer in Jaipur. Foto: Neil Moralee auf flickr (Creative Commons)

Im Februar 2016 sieht sich die indische Hauptstadt Delhi in akuter Gefahr: Unruhen im Nachbarstaat Haryana drohen die Wasserzufuhr für die 11-Millionen-Stadt lahmzulegen. Die ländliche Kaste der Jat kämpft dort für eine Verbesserung ihrer Situation und verlangt Vorzüge bei der Zuteilung von quotierten staatlichen Arbeitsplätzen. Zu den militanten Protestformen gehört die Sabotage des Munak-Kanals, der die Metropole mit Wasser versorgt. Die Regierung rationiert daraufhin den Wasserverbrauch in Delhi, schließt Schulen und lässt sogar Wasser mit Trucks in die Stadt bringen. Erst als eine Einigung gefunden ist, normalisiert sich die Lage.

Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie Wasser und soziale Konflikte in Indien zusammenwirken. Seltener wird, wie hier, Wasser als Druckmittel verwendet, sondern durch tatsächlichen Wassermangel entstehen Spannungen bis hin zu Gewaltausbrüchen. Der Environmental Justice Atlas, der Umweltkonflikte weltweit darstellt, zählt nicht weniger als 66 Fälle solcher Wasserkonflikte in Indien.

Diese Konflikte haben einen realen Hintergrund: Wasser wird tatsächlich rar. Mehr als die Hälfte der indischen Regionen leiden unter Wasserstress, so das World Resource Institute. Eine Ursache dafür ist die exzessive Nutzung von Wasser in der Landwirtschaft – und zunehmend auch in der Industrie. Zum Beispiel werden Zuckerrohr und Baumwolle im großen Stil angebaut – besonders „durstige“ Nutzpflanzen. Ein Problem dabei ist die übermäßige Entnahme von Wasser aus Grundwasserreservoirs (Aquiferen), die sich dann durch den natürlichen Wasserzyklus nicht mehr genügend auffüllen können. Das Bohren von Quellen und Brunnen ist kaum gesetzlich geregelt. Die Folge sind sinkende Grundwasserspiegel und die Versalzung von Grundwasserquellen.

Kampf um Grundwasser: Coca-Cola in Kala Dera, Rajasthan

Coke bottle distribution area, Amritsar.
Coca-Cola in Indien: Gegenwärtig, aber nicht allseits beliebt. Foto: Brian Holsclaw auf flickr (Creative Commons)

Wenn sich angesichts der zunehmenden Wasserknappheit auch noch der Großkonzern Coca-Cola an den Wasservorkommen bedient, ist das sozialer Zündstoff. Kala Dera, ein Dorf nahe Jaipur im nordwestlichen Bundesstaat Rajasthan, legte sich mit Coca-Cola an. Der amerikanische Getränkeriese hatte 1999 eine Abfüllfabrik für Softdrinks in Kala Dera errichtet und entnahm Grundwasser. Das geschah in einer Region, die von extremer Trockenheit geprägt ist. „Watergrabbing“, die Aneignung des Gemeinguts Wassers, warf man daraufhin dem Konzern vor. Seitdem Coca-Cola begonnen hatte, das Reservoir anzuzapfen, sank der Grundwasserspiegel erheblich. In verschiedenen Gutachten und Berichten versuchte die Firma nachzuweisen, dass sie unmöglich dafür verantwortlich sein könne. Die Bauern selbst, die mit motorisierten Pumpen Grundwasser förderten, seien Schuld an der Übernutzung des Grundwassers.

Doch die lokale Bevölkerung ließ sich nicht beirren und protestierte beharrlich, während die Bedingungen für die Landwirtschaft schlechter wurden. Der friedliche Widerstand gegen das Werk hatte 2016 schließlich Erfolg, und Coca-Cola schloss die Fabrik. Die örtlichen Bauern bemühen sich nun um Schadensersatz, doch das scheint recht hoffnungslos.

Das Polavaram-Dammprojekt in Andhra Pradesh

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Polavaram-Baustelle. Foto:Aktion Solidarische Welt auf flickr (Creative Commons)

Megadämme sind ein anderer, ernstzunehmender Konfliktherd, der eng mit der Wasserversorgung verknüpft ist. Indien gehört weltweit zu den Nationen mit den meisten Staudämmen. Ein aktuelles Beispiel ist der Indira Sagar (Polavaram) Staudamm, welcher derzeit am Fluss Godavari im Bundesstaat Andhra Pradesh entsteht. Mit dem Damm will man Dürre bekämpfen, Felder bewässern und Strom und Trinkwasser bereitstellen. Das Projekt ist Teil des Indian River Inter-link, eines großangelegten Planes der Zentralregierung, der die Wasserverteilung in unterschiedlichen Flussbecken des Subkontinents neu organisieren soll. Mit weitreichenden Konsequenzen für Artenvielfalt und lokale Bevölkerungen, so die Kritiker.

Tausende von Haushalten in hunderten von Dörfern müssen alleine dem Polavaram-Staudamm weichen; die Zahlen schwanken zwischen 170.000 und 400.000 Personen, die für den Bau umgesiedelt werden sollen. Besonders fatal: Die Mehrheit dieser Menschen gehört zu den Adivasi („Scheduled Tribes“ in der indischen Rechtssprache), der indigenen Bevölkerung, und ist ohnehin sozial und wirtschaftlich stark benachteiligt. Die Konda Reddi und Khond sind indigene Gruppen, die durch die Überflutung ihre Siedlungsgebiete und ihre Lebensgrundlagen verlieren werden. Nach der Umsiedlung wird sich die Lage für die meisten fraglos noch verschlechtern. Auch die benachbarten Staaten stehen dem Projekt überaus skeptisch gegenüber – sie erwarten Nachteile für die eigene Bevölkerung. Die betroffenen Dorfgemeinschaften leisten Widerstand und protestieren immer wieder gegen die fortschreitenden Bauarbeiten. Für die Regierung des Staates Andhra Pradesh ist der Bau des Staudamms jedoch eine Sache des nationalen Stolzes und darüber hinaus fließt hier sehr viel Geld. Auch wenn sich die Fertigstellung immer wieder verzögert, wird das Projekt trotz aller Zweifel und Proteste wohl umgesetzt werden.

Fazit

Indien hat also ein Wasserproblem, aber ein weitgehend selbstgemachtes. Wenn Konflikte um Wasser ausbrechen, ist das oft die Folge einer Entwicklungspolitik, die die Armen ausgrenzt. Anstatt weiterhin Milliarden Rupien in fragwürdige Großprojekte zu investieren oder gleich Investoren den Rohstoff Wasser zu überlassen, bedarf es einer Wende. Lokale Initiative nutzen vorhandene Wasserressourcen oft bereits auf nachhaltige Weise. Diese nachhaltige Wassernutzung muss flächendeckend zur Politik werden.

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