Wasserraub? Die mögliche Privatisierung des Guarani-Aquifers

“Coca-Cola und Nestlé privatisieren das größte Wasser-Reservoir Südamerikas” – diese Nachricht in meiner Twitter-Timeline lässt mich aufhorchen.  Gemeint ist das Guarani-Aquifer, das Grundwassserreservoir, das unterhalb der Länder Brasilien, Argentinien, Paraguay und Urugay liegt. Wasserraub im allergrößten Stil? Worum geht es überhaupt?

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Guarani-Aquifer. Quelle: Argonne National Library auf flickr (creative commons)

Wasserraub (watergrabbing) ist eine Analogbildung zu Landraub, der deutschen Übersetzung von landgrabbing. Gemeint ist die Aneignung von Wasserressourcen durch private Unternehmen und mit kommerziellen Interesse. Diese Praxis stößt vielerortens auf Widerstand der Bevölkerung.

Geradezu berühmt geworden sind die “Wasserkriege” im bolivianischen Cochabamba (PDF), als die Privatisierung des regionalen Wasserversorgers Aguas del Tunari – Anteile wurden u.a. an den amerikanischen Bechtel-Konzern verkauft – im Jahr 2000 für heftige Massenproteste sorgte.

Lokale und regionale Wasserversorger wurden seit den 1990ern teilweise im großen Stil privatisiert. Die Begründung dafür war fast durchgehend die effizientere Nutzung des kostbaren Guts. Privatwirtschaftliche Unternehmen würden die Wasserversorgung kostengünstiger und effizienter regeln als öffentliche Dienstleister, so das Argument, das inzwischen weithin als überholt gilt. Der Trend zur Privatisierung von Wasserversorgern ist mittlerweile umgekehrt, mancherorts, wie etwa in Berlin, wurden Wasserversorger wieder rekommunalisiert.

Die Entnahme von Grundwasser zum Zwecke der Kommerzialisierung als Trinkwasser (oft in der Flaschenabfüllung) ist ein anderer, verwandter Themenkomplex. Wie am Fall Indiens bereits beschrieben, birgt auch diese Form der Privatisierung von Wasserressourcen hohes Konfliktpotential. Nestlé und Coca-Cola gehören zu den internationalen Akteuren, die Trinkwasserprivatisierung befürworten und vorantreiben. Dokumentarfilme wie “Bottled Life” (CH 2012) oder “Water Makes Money” (DE,FR 2010) haben geholfen, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen.

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Peter Brabeck-Lemathe, bis 2017 Vorstandsvorsitzender von Nestlé. Foto: MEDEF (creative commons)

Nestlé ist seit langem Zielscheibe diverser Boykottaufrufe. Besonders die Wasserpolitik des schweizer Konzerns wird häufig kritisiert – unter anderem in einem weiteren Dokumentarfilm, “We feed the World” (AT 2005), und in den oben genannten Dokumentationen. Im Fokus der Kritik steht auch Nestlé-Manager Peter Brabeck-Lemathe, langjähriger Vorsitzender des Schweizer Lebensmittelgroßkonzerns.

Brabeck-Lemathe versucht im obenstehenden Video von Nestlé, seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Er habe nie das Menschenrecht auf Wasser in Frage gestellt. Natürlich sollen die Armen nicht verdursten; aber Wasser sei nun ein mal ein ökonomisches Gut. Damit wiederholt er im wesentlichen das 4.Dublin-Prinzip von 1992 – also eine Mainstreamposition in der internationalen Wasserpolitik. Tatsache ist aber, dass Nestlé und andere Getränkeabfüller profitieren, wenn Staaten ihrer Bevölkerung nicht ausreichend sauberes Trinkwasser zu Verfügung stellen. In Zeiten von Dürrewellen, rapider Urbanisierung, aber auch zunehmender Verschmutzung von Wasserressourcen durch Industrie und Landwirtschaft wird Trinkwasser mehr und mehr zum hochlukratives Geschäft. Und dazu kommt, dass in den globalen Mittelschichten Flaschenwasser ein Lifestyle-Produkt geworden ist.

Nun zum Guarani-Aquifer. Die Privatisierung eines Aquifers dieser Größe hätte eine neue Qualität. Das Reservoir erstreckt sich unterhalb der Landoberfläche von 1,2 Millionen Quadratkilometern, mehr als die Hälfte davon liegt auf brasilianischem Staatsgebiet.  Und: Brasilien hat in den letzten Jahren eine Jahrhundert-Dürre erlebt, auch Gebiete, die sonst über ausreichend Wasser verfügen, waren betroffen. Aber: Wie entsteht der Verdacht, die Privatisierung sei wirklich geplant?

Offensichtlich wurde die Sorge, das Guarani-Aquifer könne privatisiert werden, schon vor einigen Jahren geäußert – unter anderem von der Wasser-Aktivistin Maude Barlow in ihrem Buch “Blue Covenant” (2007). Barlow verweist auf die Aktivitäten der Weltbank, die in einem durch die Global Environment Facility finanzierten Projekt von 2001-2009 das Guarani-Aquifer erkundet hatte. 2016 wiederholte Barlow ihre Befürchtung.

Die neu verbreiteten Anschuldigungen basieren auf einem Artikel im Correio do Brasil, erschienen im August 2016. Dort wird über die Privatisierungspläne der Regierung vom amtierenden brasilianischen Präsidenten Michel Temer berichtet. Temer ist nach der Amtsenthebung von Dilma Roussef von der gemäßigt linken Arbeiterpartei (PT) Präsident geworden, seine Politik trägt stark neoliberale Züge. Bislang wurde die Privatisierung von Flughäfen und Passagierterminals diskutiert. Eine anonyme Quelle behauptet, die Regierung Temer habe sich mit Vertretern von Nestlé und Coca-Cola zum Austausch über Grundwasserprivatisierung treffen wollen; da sich dies als politisch heikel erwiesen habe, sei das Treffen aber verschoben worden.

Coca-Cola und Nestlé seien nur die Vorhut einer Schar von potentiellen Profiteuren, neuen “Wasserbaronen”. Jo-Shing Yang beschreibt in einem Artikel von 2012 detailliert die Investitionsabsichten der global players der Finanzbranche in den Wassersektor, von Allianz und Barclays über Deutsche Bank zu Goldman Sachs.

Unter den genannten Investoren findet sich auch die Bush-Familie. 2005-06, als George W. Bush noch im Weißen Haus saß, kaufte seine Familie über 40,000 Hektar Land in der Chaco-Region im Norden von Paraguay. Das Land ist dünn besiedelte Trockenregion. Der Grund für die Investition sei eindeutig Zugang zum Grundwasserreservoir, so ein Kommentar.

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George W. Bush (2005). Foto: Eric Draper (Public Domain).

Die Feldzüge der Bush-Regierung sind nicht vergessen. Darum bekommen die Landkäufe in Paraguay in den Augen mancher einen geopolitischen Charakter – Landkäufe als Hydro-Imperialismus, sozusagen. Dies nährt die Befürchtung, die USA wollten sich die geostrategische Kontrolle über das Guarani-Aquifer sichern. Es scheint mir aber viel Verschwörungstheorie dabei zu sein.

Das alles erinnert vielleicht an “James Bond – Ein Quantum Trost” (2008). Wasser wird dort zur Quelle politischer Macht, ein mächtiger Schurke strebt die Kontrolle über das lebenswichtige Element an. Die Schurken in dieser Geschichte wären also wahlweise die Konzernvorstände von Nestlé und Coca-Cola oder die Bush-Familie. Eine gute Geschichte, aber was ist eigentlich dran? Aus meiner Sicht ist das nicht einfach zu sagen.

Tatsächlich haben die Anrainerstaaten des Guarani-Aquifers sich – auch als Resultat der oben genannten, von der Weltbank betriebenen Erkundungen – auf ein Abkommen zum gemeinsamen Schutz und Nutzung des Aquifers geeinigt – dieses gilt als ein Musterbeispiel für eine multilaterale Vereinbarung über grenzüberschreitende Wasserresourcen. Da aber in drei der vier Länder – allen außer Uruguay – mittlerweile konservativ-neoliberale Regierungen an der Macht sind, glaubt man, dass der Wasserprivatisierung nun im großen Stil Tür und Tor geöffnet ist.

Das 8. Weltwasserforum findet im März in Brasiliens Hauptstadt Brasilia statt. Die traditionell wirtschaftsfreundliche Veranstaltung läuft unter dem Motto “Wasser Teilen”(“Sharing Water”). Es könnte noch interessant werden, inwieweit eine Inwertsetzung des Guarani-Aquifers dort Thema wird. Vorerst jedoch sind die Hinweise für Privatisierungspläne eher dünn. Klar ist, dass sich die politische Situation in Brasilien und der Region entschieden verändert hat – und dass sich damit die Chance für die Aneignung von Gemeingütern wie  Grundwasserresourcen durch transnationale Konzerne wesentlich erhöht hat.

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